Impfstoff-Studie – Das HI-Virus endlich klein kriegen

Wenn eine klinische Studie scheitert, heißt es oft
schnell: Sie war ein Fehlschlag. Das ist eigentlich falsch – wie die
Vorgeschichte von HVTN 702 zeigt. Diese Studie wurde Ende 2016
gestartet und ist die erste Wirksamkeitsstudie für einen
HIV-Impfstoff weltweit, nachdem die „Thailand-Studie“ vor sieben
Jahren erstmals zeigen konnte, dass ein Impfstoff vorbeugend gegen
HIV wirksam sein kann. Sanofi Pasteur und GlaxoSmithKline
entwickelten und produzierten die Impfstoffe. Ein Interview mit dem
Impfstoffforscher Dr. Jim Tartaglia, der bei Sanofi Pasteur das
Projekt maßgeblich vorantreibt.

„HVTN 702“ – das Kürzel steht für eine der großen Hoffnungen im
Bereich der HIV-Impfstoffforschung. Die Studie mit diesem offiziellen
Code wurde im November 2016 in Südafrika gestartet – als erste große
Wirksamkeitsstudie seit der renommierten „Thailand-Studie“ (Code: RV
144) vor sieben Jahren. An der Studie sollen 5.400 Frauen und Männer
im Alter zwischen 18 und 35 Jahren teilnehmen. Zwei Drittel der
Testpersonen werden weiblich sein, da sich in dieser Altersgruppe
Frauen weitaus häufiger mit dem HI-Virus infizieren als Männer. Erste
Ergebnisse werden für 2020 erwartet. Die Studie wird unter der
Leitung des US-amerikanischen National Institute of Allergy and
Infectious Diseases (NIAID) durchgeführt.

Die Suche nach einem HIV-Impfstoff ist lang – und sie hat die
Forscher Demut gelehrt. Denn das HI-Virus bringt alles mit, was die
Entwicklung eines Impfstoffs erschwert. Schon seine extreme
genetische Vielfalt hat die Entwicklung immer wieder zurückgeworfen.
Aber klinische Studien, die ihre Ziele nicht erreichen, sind nicht
immer Fehlschläge, wie Jim Tartaglia beschreibt. Tartaglia arbeitet
seit 1999 bei Sanofi Pasteur, ist anerkannter Experte für die
Entwicklung rekombinanter, also gentechnisch hergestellter Impfstoffe
und hat die Thailand-Studie entscheidend mitgeprägt. Diese gilt als
Meilenstein in der HIV-Impfstoffentwicklung.

Die Forschung nach einem HIV-Impfstoff ist eine lange Geschichte,
die immer wieder von Rückschlägen begleitet wurde. Was versprechen
Sie sich von dem neuen Ansatz?

Dr. Jim Tartaglia: Im September 2009 haben wir etwas
Entscheidendes gelernt: Ein wirksamer Impfstoff zur HIV-Prävention
ist grundsätzlich möglich. Im Rahmen der Thailand-Studie zeigte der
geprüfte Impfstoff eine Wirksamkeit von rund 60 Prozent ein Jahr nach
der Impfung und rund 31 Prozent, dreieinhalb Jahre nach der Impfung.
Diese Studie gilt als Schlüsselbeweis, dass ein Aids-Impfstoff
machbar ist. Mit der neuen Studie HVTN 702 testen wir die gleiche
Strategie. Allerdings wurden die Impfstoffkomponenten
weiterentwickelt. Wir haben unsere ALVAC-HIV-Vakzine an den in
Südafrika zirkulierenden HIV-Stamm angepasst, genau wie das auch GSK
bei seiner Komponente getan hat. Außerdem wurde der
Wirkstoffverstärker MF59 hinzugefügt. Wir hoffen damit, nicht nur die
primäre Wirksamkeit, sondern auch die Dauer der Wirkung zu
verbessern. HVTN 702 ist die Chance, das in der Thailand-Studie
Gelernte zu verbessern. Schließlich ist ein sicherer und wirksamer
Impfstoff entscheidend, wenn man die HIV/Aids-Epidemie beenden will.
Jeder Meilenstein wie dieser ist ein Schritt in diese Richtung.
Übrigens: Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen Kinderlähmung hat 50
Jahre in Anspruch genommen.

Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Thailand-Studie RV 144
gezogen?

Tartaglia: Wir haben mit den Proben der freiwilligen
Studienteilnehmer in mehr als 20 verschiedenen Tests verschiedene
Typen von Immunfunktionen untersucht. Die Immunantworten derjenigen,
die während der gesamten Studienzeit HIV-negativ waren, haben wir mit
denen verglichen, die sich während der Studie mit dem Wildvirus
infiziert haben (die Impfung selbst kann kein HIV auslösen). Über 30
Labore und mehr als 150 Wissenschaftler haben anschließend
„Post-hoc-Analysen“ durchgeführt, um Risikokorrelate zu
identifizieren. Sie fanden heraus, das verschiedene Typen von
Antikörper-Antworten mit höheren oder niedrigen HIV-Infektionsraten
korrelierten. So konnten verschiedene kausale Zusammenhänge für
HIV-Infektionen identifiziert werden. HVTN 702 wurde entwickelt, um
diese Risiko-Zusammenhänge zu validieren. Zusätzlich wurden Phase-I
und II-Studien durchgeführt, um den Effekt von Booster-Dosen
(Auffrisch-Impfungen) besser zu verstehen. Die im Mai 2016
präsentierten Daten zeigen, dass alle vorab definierten Kriterien
erreicht wurden. Auch höhere Immunantworten als bei der
Thailand-Studie konnten gezeigt werden: Daher die Entscheidung, mit
HVTN 702 eine große Wirksamkeitsstudie durchzuführen.

Was unterscheidet HVTN 702 von anderen Studien? Wann erwarten Sie
erste Ergebnisse?

Tartaglia: HVTN 702 ist zurzeit die einzige HIV-Wirksamkeitsstudie
weltweit. Das Impfschema nennen wir eine „Prime-Boost-Strategie“. Der
Impfstoff von Sanofi Pasteur ALVAC-HIV wird als „Primer“ geimpft –
also um das Immunsystem anzuregen – und der Impfstoff von GSK mit
Wirkverstärker anschließend als Booster – also als Auffrisch-Impfung,
u.a. um eine möglichst lang anhaltende Wirksamkeit sicherzustellen.
Erste Ergebnisse erwarten wir 2020.

Pressekontakt:
Winfried Rauscheder
Redaktion Pharma Fakten

www.pharma-fakten.de
E-Mail: redaktion@pharma-fakten.de
http://twitter.com/pharmafakten
Tel.: +49 89 1250 153 66

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