Schulterstudie liefert keine neuen Erkenntnisse – Deutsche Standards erweisen sich als bewährt

Sechs Fach- und Berufsverbände aus Orthopädie und
Unfallchirurgie und der Chirurgie nehmen unter Führung der Deutschen
Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) Stellung
zur jüngst im Fachmagazin „The Lancet“ veröffentlichten Studie
„Arthroscopic subacromial decompression for subacromial shoulder pain
(CSAW)“ zur Wirksamkeit der Schulterdacherweiterung – der sogenannten
arthroskopischen subakromialen Dekompression (ASD). Die Autoren der
Studie kamen zu dem Ergebnis, dass Patienten mit einem subakromialen
Schmerzsyndrom zu häufig ohne Nutzen operiert würden. Allerdings
lässt sich das Ergebnis nicht auf Deutschland übertragen. Denn anders
als in der CSAW-Studie abgebildet, wird die ASD-Methode zur Linderung
von unspezifischen Schulterschmerzen in Deutschland nicht eingesetzt.
Für das deutsche Gesundheitssystem ergeben sich aus Sicht von
Orthopäden und Unfallchirurgen daher keine Konsequenzen aus der
Studie. „Wir kritisieren, dass eine in Deutschland bewährte
Versorgungspraxis angegriffen wird, ohne zuvor hiesige Experten zu
Rate zu ziehen. Wenig sachkundige Urteile sind schlechter Stil und
schaden dem Gesundheitswesen und vor allem den Patienten“, sagt
DGOU-Generalsekretär Prof. Dr. Reinhard Hoffmann.

Die Stellungnahme wurde notwendig, weil mit den nicht ohne
weiteres übertragbaren Ergebnissen der Studie das Therapieverfahren
der Schulterarthroskopie und gängige Behandlungsmethoden unter
Generalverdacht gestellt wurden. Dabei wird die ASD-Methode in
Deutschland nur bei einem bestimmten orthopädischen Schulterproblem
angewandt, dem sogenannten Engpasssyndrom (subakromiales
Impingementsyndrom). Betroffene Patienten leiden unter Schmerzen,
wenn sie den Arm seitlich anheben. Das liegt daran, dass der
Bewegungsspielraum des Schultergelenks durch knöcherne Strukturen,
gereizte Schleimbeutel oder degenerierte Sehnen zu eng ist, sodass
der Kopf des Schultergelenks an das Schulterdach schlägt. Zur Abhilfe
vergrößert der Arzt mit Hilfe der ASD-Methode den subakromialen
Gleitraum des Gelenks, indem er das entzündete Gewebe und knöcherne
Veränderungen des Schulterdaches entfernt. „Leider wurden keine
klinischen und radiologischen Parameter für die Diagnose eines
subakromialen Impingementsyndroms dieser Studie zugrunde gelegt und
in der Summe Patienten mit unspezifischen subakromialen
Schulterschmerzen eingeschlossen“, kommentiert Prof. Dr. Markus
Scheibel, Präsident der DGOU-Sektion Deutsche Vereinigung für
Schulter- und Ellenbogenchirurgie e. V. (DVSE). „Das pragmatische
Design der CSAW-Studie vernachlässigt bewährte Auswahlkriterien
zwischen Therapieoptionen und führt deshalb zu sehr undifferenzierten
Ergebnissen.“

So schließt die Studie auch Patienten ein, deren Schmerzen nicht
von einem mechanischen Engpasssyndrom bzw. von einer Funktionsstörung
wie einer Schulterblattfehlhaltung herrühren können. Bei diesen
Schmerzursachen wird nach deutschem medizinischen Standard keine
subakromiale Dekompression als Therapiemaßnahme durchgeführt. „Eine
alleinige Dekompression führt bei diesen Diagnosen in der Regel zu
keinen guten Ergebnissen. Diese Fälle hätten bei der Studie
ausgeschlossen werden müssen“, sagt PD Dr. Ralf Müller-Rath,
Vorsitzender des Berufsverbandes für Arthroskopie e. V. (BVASK).

Da also ein Therapieverfahren ausgewertet wird, das in Deutschland
bei unspezifischen subakromialen Schulterschmerzen nicht üblich ist,
können daraus keine Schlüsse zur Wirksamkeit einer arthroskopischen
Dekompression gezogen werden. Vielmehr ist für den Erfolg
entscheidend, dass die zur Diagnose passende Therapieoption zum
Einsatz kommt. In diesem Zusammenhang kritisiert die DGOU öffentliche
Äußerungen, in denen ohne vorheriges Einholen einer medizinischen
Fachexpertise die Bezahlung des Therapieverfahrens durch die
Krankenkassen zur Disposition gestellt wird – so wie es vom Institut
für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG)
geschehen ist.

Weiterhin bezeichnen die Autoren die alleinige Arthroskopie, mit
der die ASD-Methode in der Studie verglichen wurde, als
Placebo-Operation. „Es ist jedoch unzulässig, bei einer Gelenkspülung
von Placebo-Chirurgie zu sprechen. Möglicherweise hat eine solche
mechanische Intervention schon einen therapeutischen Effekt“ sagt
Prof. Dr. Helmut Lill, Präsident der Gesellschaft für Arthroskopie
und Gelenkchirurgie (AGA). Das zeigen auch die Studienergebnisse, die
einen messbaren Zusatznutzen bei einer arthroskopischen Spülung im
Vergleich zu einer nicht-operativen Behandlung aufzeigen.

Aus den Daten der vorliegenden Studie kann nur folgende
Schlussfolgerung gezogen werden: Patienten mit unspezifischen
Schulterschmerzen über einen Zeitraum von drei und mehr Monaten
scheinen von einem operativen Eingriff an der betroffenen Schulter im
Vergleich zu einer reinen Beobachtung zu profitieren. Allerdings
erfolgte, ein weiterer Schwachpunkt der Studie, die Endpunktanalyse
nach nur sechs Monaten. Die klinisch-wissenschaftliche Gemeinschaft
fordert Nachbeobachtungsintervalle von wenigstens zwei Jahren.

Die DGOU fordert weitere wissenschaftliche Studien in Deutschland,
um noch genauer herauszufinden, wer von einer subakromialen
Dekompression langfristig profitiert und wer nicht.

Die Stellungnahme wird getragen von
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU)
Deutsche Vereinigung für Schulter- und Ellenbogenchirurgie e.V.
(DVSE)
Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU)
Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC)
Berufsverband für Arthroskopie e.V. (BVASK)
Gesellschaft für orthopädisch-traumatologische Sportmedizin (GOTS)
Gesellschaft für Arthroskopie und Gelenkchirurgie (AGA)

Hintergrund

Die CSAW-Studie („Can Shoulder Arthroscopy Work?“) untersucht den
Nutzen einer arthroskopischen Dekompression bei Patienten mit seit
über drei Monaten bestehenden subakromialen Schulterschmerzen. Die
Studie wurde kürzlich in der britischen Fachpublikation The Lancet
veröffentlich. „The Lancet“ kommt zu dem Ergebnis, dass eine
arthroskopische subacromiale Dekompression (ASD) des Schultergelenks
offenbar keine besseren Ergebnisse als ein Scheineingriff liefere,
bei dem lediglich eine Arthroskopie vorgenommen wird. Beide Maßnahmen
scheinen Schmerzen in der Schulter jedoch etwas besser zu lindern als
gar keine Therapie.

Referenzen
1) Gemeinsame Stellungnahme zum CSAW-Trail
2) Beard DJ, Rees JL, Cook JA, Rombach I, Cooper C, Merritt N, et al.
Arthroscopic subacromial decompression for subacromial shoulder pain
(CSAW): a multicentre, pragmatic, parallel group, placebo-controlled,
three-group, randomized surgical trial. Lancet 2017 Nov 20. pii:
S0140-6736(17)32457-1. doi: 10.1016/S0140-6736(17)32457-1. [Epub
ahead of print]
http://ots.de/dz4tA

Pressekontakt:
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU)
Straße des 17. Juni 106-108
10623 Berlin
Tel.: 030 – 340 603 -606 oder -616
Fax: 030 – 340 603 -621

Original-Content von: Berufsverband der Deutschen Chirurgen e.V. (BDC), übermittelt durch news aktuell

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