Zukunftsforscher Harry Gatterer: „Viele Unternehmen verwechseln Digitalisierung mit Zukunft“

Als Zukunftsforscher wird Harry Gatterer,
Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, gerne gefragt, ob ein
Unternehmen auf diesen oder jenen Trend aufspringen soll. Denn viele
Unternehmen sind getrieben von den Möglichkeiten, die die Buzzwords
wie Big Data oder Sharing Economy suggerieren. Doch als Trendforscher
weiß Gatterer auch, dass es gerade die inflationär eingesetzten
Begriffe rund um die Digitalisierung sind, die die Sicht auf die
spezifischen Herausforderungen für das eigene Unternehmen versperren
können. Hier braucht es eine unterstützende Expertise, die zwar
nicht die Antwort auf jede Zukunftsfrage kennt, aber den Weg dorthin
begleitet. Mit seinem Buch „Future Room. Entdecken Sie die Zukunft
Ihres Unternehmens“ (Murmann Verlag) hat Gatterer genau solch einen
Wegbegleiter geschrieben, der den Blick auf die Zukunft klarer machen
soll – und in dem er unpräzisen Modewörtern den Kampf ansagt.

Herr Gatterer, in Ihrem Buch über die Zukunft von Unternehmen
schreiben Sie, dass Begriffe wie Big Data wie Viren im Kopf sind. Was
haben Sie gegen diese Buzzwords?

„Im Grunde sind es Begriffe, die sich unaufhaltsam verbreiten und
an denen wir vermeintlich Zukunft festmachen. Früher war es
Nachhaltigkeit, heute sind es Big Data, Deep Learning, künstliche
Intelligenz und natürlich “Digitalisierung“.“

Und warum der Vergleich mit Viren?

„Viele Menschen übernehmen diese Begriffe eins zu eins und leiten
daraus ihre Zukunftsbilder ab. Diese Begriffe hebeln sozusagen unser
Immunsystem gegen Bullshit aus und erschweren jede Form von
strategischem Denken über die Zukunft massiv.“

Ist das Umsichwerfen von Buzzwords denn ein Zeichen dafür, dass
man eigentlich keine Ahnung von der Materie hat?

„Das ist zumindest ein Zeichen dafür, dass es nicht sehr
reflektiert ist. Nehmen wir das Beispiel Digitalisierung: Das wird
ganz oft verwendet, wenn wir eigentlich Rationalisierung meinen oder
einfach Prozesse durch digitale Abläufe automatisieren, um
Mitarbeiter einzusparen. Ich finde es ehrlicher, effektvoller und in
Zukunftsfragen richtiger, wenn man sagt: Wir wollen sparen. Gleiches
gilt, wenn man New Work sagt, aber eigentlich nur Quadratmeter sparen
will. Diese Begriffe erzeugen Bilder im Kopf, die wir dann mit
Zukunft assoziieren, aber sie eigentlich gar nicht meinen.“

Warum sprechen wir dann aber von Digitalisierung, wenn sie gar
nicht gemeint ist?

„Oftmals ist es Überforderung, die mit rasanten Entwicklungen –
gegenwärtig allem Digitalem – einhergeht. Diese Situation kann man
sich natürlich auch zunutze machen und die Unsicherheit auf der
Gegenseite schamlos auszunutzen, um sein eigenes Ding durchzuboxen.
Deshalb sollte man bei Buzzwords wie Digitalisierung immer
hinterfragen, was die Gegenseite damit wirklich meinen könnte. Es
kommt also auf den Kontext an. Aber es gibt nicht nur diese
euphemistische, verwirrende Nutzung, mache wissen es auch einfach
nicht besser. Dann wird mit Buzzwords unreflektiert um sich geworfen,
um mitreden zu können und up to date zu wirken. Viele Unternehmen
verwechseln etwa Digitalisierung mit Zukunft. Digitalisierung muss
aber nicht immer die richtige Antwort auf die eigene Zukunftsfrage
sein. Manchmal ist selbst ein Branchentrend wie Streaming in der
Musikindustrie für Ihr Unternehmen irrelevant, wenn Ihr USP z. B.
Premium-Schallplatten sind und Ihre Verkäufe steigen. Übrigens gar
nicht so unwahrscheinlich, weil wir mit Schallplattenverkäufen fast
wieder da sind, wo wir Ende der 1980er-Jahren waren.“

In Ihrem Buch „Future Room“ empfehlen Sie daher, zielgerichtet
Zukunftsfragen zu stellen, die auf das eigene Unternehmen bezogen
sind, und Sammelbegriffe wie Digitalisierung zu vermeiden. Wie findet
man jedoch genau diese persönliche Frage?

„Die Frage “Wird es in Zukunft noch Bankfilialen geben?“ ist eine
Generalisierung. Und diese Generalisierung führt mich erstmal von
meinem Unternehmen weg. Eigentlich möchte ich doch wissen: „Habe ich
in Zukunft noch Kunden und wollen wir als Bank noch physische
Begegnungen mit ihnen anbieten?“. Dann wird die Frage persönlich,
weil plötzlich die Bankfiliale keine Rolle mehr spielt, sondern der
Kunde. Und das ist der Trick: So wird die Frage eine Reflektion aus
der eigenen Perspektive.“

Aber ein großes Finanzunternehmen, das hunderte Filialen in
Deutschland hat, kann diese Frage doch nicht bei jeder einzelnen
Bankfiliale stellen, sondern muss das große Ganze des Unternehmens im
Blick haben.

„Ja, aber die Frage nach der Zukunft der Bankfiliale ist genau
das, was die Branche mit Blick auf das Buzzword Digitalisierung
beschäftigt. Dahinter steckt ja die Frage: “Welche Rolle wollen wir
als Bank in Zukunft noch spielen?“ – und eben nicht “Welche Rolle
spielen die Banken in Zukunft?“. Das ist eine Frage, die sich
durchaus ein ganzes Unternehmen stellen kann, eben aus der eigenen
Perspektive. Das allein reicht schon, um die Wahrnehmung zu
verändern.“

Für Ihre Future-Room-Methode haben Sie eine Matrix entwickelt, in
der die Antworten auf die gestellten Zukunftsfragen spezifischen
Bereichen zugeordnet werden – vom Produkt selbst bis zur Auswirkung
auf das Menschsein. Wenn es um die digitale Transformation geht, wo
landen die meisten Antworten auf die Zukunftsfrage?

„Das ist nicht generalisierbar und hat oft sogar wenig mit der
eigentlichen Zukunftsfrage zu tun, sondern mit dem Punkt, an dem das
Unternehmen in seinem Lebenszyklus gerade steht. Ich habe selbst
erlebt, dass Unternehmen eigentlich Antworten auf ihre
Digitalisierungsstrategie wollten und durch die Future-Room-Methode
gemerkt haben: Die Strategie ist gar nicht das Problem, wir sind eine
Organisation mit hoher Entscheidungsäquivalenz. Der Schuh drückt also
nicht an der Strategie selbst, sondern bei ständig vertagten
Entscheidungen. Bei einem anderen Unternehmen hingegen zeigte sich
bei derselben Frage, dass es nach Lösungen, die es in Zukunft
anbieten muss, sucht. Der Fokus lag also auf der Wirtschaft und der
Suche nach Orientierung für die Zukunft in den diversen Möglichkeiten
des Markts.“

Aber die Beschäftigung mit der Zukunft scheint ja immer noch ein
schwieriges Thema zu sein. Bei einer aktuellen Studie von Horváth &
Partners geben nur 37 Prozent der befragten Entscheider an, heute
andere Produkte zu vertreiben als noch vor dem digitalen Wandel.
Machen diese Unternehmen etwas falsch?

„Grundsätzlich wird jedes Unternehmen daran gemessen, ob hinten
ein Plus oder Minus steht. Und wenn ein Plus stehen soll, bedeutet
das, dass ich antizipieren muss, wohin sich Bedürfnisse meiner
Kunden, wohin sich Märkte, wohin sich Gesellschaften entwickeln.
Früher hat man üblicherweise antizipiert, indem man in die
Vergangenheit geschaut und sich das in die Zukunft gewünscht hat. Auf
diese simple Art und Weise können wir die Welt aber heute nicht mehr
begreifen, dafür ist die Wirtschaft zu komplex. Unternehmen aber, die
nach diesen alten Prinzipen arbeiten, hinken entsprechend hinterher,
sind überrascht von der Digitalisierung und beginnen erst jetzt, sich
damit effektiv zu beschäftigen. Leider 15 Jahre zu spät.“

Muss man als Unternehmen also das nächste Amazon oder Tesla sein
wollen, um überleben zu können?

„Nein, das müssen sie nicht. Sie haben jedes Recht, einfach nur
ein solides Unternehmen aufzubauen, das gut wirtschaftet, aber eben
nicht Spitzenreiter ist. Aber auch dann müssen sie sich
Zukunftsfragen stellen, um zu erkennen, welche Entwicklungen relevant
für ihr Unternehmen sind.“

Zusammenfassend: Welche drei Tipps können Sie Unternehmen
mitgeben, um sich zukunftssicher aufzustellen?

„Tipp Nummer eins: In Zukunftsfragen umschalten von managen auf
beobachten. Denn Führungskräfte sind es gewohnt, dass man auf alles
eine Antwort hat und diese sofort in Handlungen übersetzt. Die
Beobachtungsgabe hilft, komplexe Zusammenhänge zu durchdringen und
sich Zukunftsfragen zu stellen. Zweitens: Gelassenheit. Denn in dem
Moment, in dem wir Trendviren verfallen, kommen wir in eine Phase der
Hyperaktivität, die aber nicht zwingend hilft. Und drittens: Mut.
Nämlich den Mut, die Schlüsse, die man aus einer klugen
Beobachtungsgabe in Verbindung mit Gelassenheit zieht, konsequent zu
verfolgen.“

Angaben zum Buch:

Harry Gatterer: Future Room. Entdecken Sie die Zukunft Ihres
Unternehmens

220 Seiten, ISBN: 978-3-86774-595-6

Murmann Verlag: www.murmann-verlag.de

Pressekontakt:
Dr. Luise Ritter | Schopenstehl 15 | 20095 Hamburg
Tel: 040 398083 24 | E-Mail: ritter@murmann-publishers.de

Original-Content von: Murmann Verlag, übermittelt durch news aktuell

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