Mit Blutgefäßen aus Stammzellen gegen Volkskrankheit Diabetes

Wissenschaftlern des IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften – gelang es erstmals,
menschliche Blutgefäße aus Stammzellen zu entwickeln. Diese bahnbrechende
Technologie ermöglicht es nun, sämtliche Gefäßerkrankungen direkt am
menschlichen Gewebe zu erforschen und birgt einen völlig neuen Ansatz für die
Therapie von Diabetes, wie das Fachjournal Nature aktuell berichtet.

Jedes einzelne Organ des menschlichen Körpers ist von einem dichten Netz aus
Blutgefäßen durchzogen. Die feinsten dieser Blutgefäße, Kapillaren genannt,
haben einen Durchmesser von nur wenigen Mikrometern und versorgen jede einzelne
Zelle de Körpers mit lebenswichtigem Sauerstoff und Nährstoffen. Krankhafte
Veränderungen der Blutgefäße, wie etwa bei Diabetes, nehmen weltweit stark zu.
Mittlerweile hat sich die Anzahl an DiabetikerInnen auf weltweit 420 Millionen
Betroffene verdoppelt. Die schwerwiegenden Folgeerkrankungen von Diabetes wie
Nierenversagen, Erblindung, Herzinfarkt, Schlaganfall, nicht-heilende Wunden,
oder Amputationen entstehen durch Schädigungen der Blutgefäße, was laut WHO
mittlerweile 825 Milliarden Dollar Gesundheitskosten pro Jahr verursacht.

Neue Therapien für Diabetes werden daher dringend benötigt. Doch bisher war es
ForscherInnen nur bedingt möglich, jenen molekularen Ursachen genauer
nachzugehen, die zur Entstehung der Gefäßkrankheit beim Diabetiker führen. Vor
allem, da sich Erkenntnisse über diabetische Blutgefäßveränderungen aus
Tierversuchen nicht immer auf den Menschen übertragen lassen. Die
Stammzellforschung hat sich in den letzten Jahren zu einer wichtigen Triebfeder
für die Grundlagenforschung entwickelt: Kleine organähnliche Strukturen, die man
aus Stammzellen im Labor züchten kann, spiegeln Prozesse der Organentwicklung
und der Krankheitsentstehung beim Menschen wider.

Nächster Meilenstein der IMBA Stammzellinitiative: Blutgefäß-Organoide aus dem
Labor

Erstmals schafften es nun ForscherInnen am IMBA, ein solches Organoid-System für
Blutgefäße zu entwickeln. Diese sogenannten vaskulären Organoide werden im Labor
aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) kultiviert und ahmen die
Struktur und Funktion menschlicher Kapillaren nach. Dank des neuen Modellsystems
können die ForscherInnen nun die Krankheitsentstehung in menschlichen
Blutgefäßen, wie etwa bei Diabetes, erstmals im Labor „nachspielen“. „Das
Spannende an unserer Arbeit ist, dass es uns gelungen ist, echte menschliche
Blutgefäße aus Stammzellen herzustellen. Unsere Organoide sind den menschlichen
Kapillaren unglaublich ähnlich und erlauben uns erstmals, Blutgefäßerkrankungen
direkt am menschlichen Gewebe zu untersuchen „, sagt Reiner Wimmer, Postdoc am
IMBA und Erstautor der aktuellen Publikation in Nature.

Jene Prozesse, die zu den schweren Folgen von Diabetes führen, finden oft in den
kleinsten Zweigen des Gefäßsystems statt, den Kapillaren. Die Kapillaren werden
von Endothelzellen ausgekleidet, die das Gefäßlumen formen, und von Pericyten
unterstützt. Die äußere Wand der Kapillare wird dabei von der sogenannten
Basalmembran ummantelt, die das Blutgefäß stützt. In diabetischen Patienten ist
diese Basalmembran massiv vergrößert, was die Sauerstoff und Nährstoffzufuhr im
Gewebe stark einschränkt und schließlich zum Absterben des Blutgefäßes führen
kann.

„Diabetische Verhältnisse“ in der Petrischale

Um diesen Prozess erstmals in der Petrischale nachzuspielen, simulierten die
ForscherInnen „diabetische Verhältnisse“ , indem sie dem Nährmedium eine
Kombination aus hohem Zuckeranteil und Entzündungsstoffen hinzufügten. Dank
einer Kollaboration mit Dontscho Kerjaschki, Pathologe an der Meduni Wien,
konnten die ForscherInnen die Schäden an den diabetischen Blutgefäß- Organoiden
mit Biopsien von Blutgefäßen diabetischer PatientInnen vergleichen.
„Überraschenderweise konnten wir die bei Diabetes typische Verdickung der
Basalmembran in den zuckerkranken Organoiden beobachten. Diese ähnelt den
Gefäßschäden, die wir bei Diabetikern beobachten können“, erklärt Reiner Wimmer.

In einem nächsten Schritt testeten die WissenschaftlerInnen verschiedene
chemische Verbindungen an den im Labor gezüchteten „zuckerkranken“ Blutgefäßen,
um die typische Ausprägung der Krankheit zu verhindern. Sie überprüften aktuelle
Medikamente sowie kleine Moleküle, die verschiedene Signalwege blockieren. Kein
einziges der getesteten zugelassenen Medikamente gegen Diabetes hatte einen
Effekt. Jedoch zeigten sich 2 Proteine eines Signalweges als besonders
vielversprechend: Notch3 und Dll4 regulieren die Verdickung der Basalmembran
maßgeblich. Auch in den Blutgefäßen von Diabetes-PatientInnen fanden die
ForscherInnen eine erhöhte Aktivität von Notch3, genauso wie in den Organoiden.
Blockiert man nun jenen Signalweg durch ein kleines Molekül, so wäre dies ein
völlig neuer Ansatz für die Behandlung von Diabetes.

„Jedes einzelne Organ in unserem Körper ist mit dem Kreislaufsystem verbunden.
Gleichzeitig spielen Blutgefäße aber auch beim Fortschreiten von Krebs oder
Alzheimer“s eine maßgebliche Rolle,“ sagt Josef Penninger, Gründungsdirektor des
IMBA, der seit Dezember das Life Science Institut der Universität British
Columbia leitet und der Letztautor der aktuellen Studie ist. „Mit der
Entwicklung der Blutgefäß-Organoide aus Stammzellen haben wir ein wichtiges
Modelsystem für die Biomedizin geschaffen. Dies ermöglicht es uns nun, Ursachen
eines breiten Spektrums von Gefäßkrankheiten wie Diabetes, Wundheilung,
Schlaganfällen, Seltenen Erkrankungen, bis hin zu Krebs, gezielt zu erforschen
und hoffentlich neue Behandlungen zu entwickeln.“

Originalpublikation:

Reiner A. Wimmer, et.al., Human blood vessel organoids as a model of diabetic
vasculopathy, Nature (2019), doi.org/10.1038/s41586-018-0858-8

Fotos: https://www.ots.at/redirect/imba1

Video Abstract: https://youtu.be/MEKdEDcA2ok

Über das IMBA

Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie ist das größte Institut der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) mit dem Fokus auf
zukunftsweisende Grundlagenforschung. 12 Forschungsgruppen stellen sich den
molekularen Rätseln und unerforschten Gebieten der Molekularbiologie und
Medizin. Erkenntnisse aus den Bereichen Zell- und RNA- Biologie, molekularer
Medizin und Stammzellbiologie bilden den Nährboden für eine Medizin der Zukunft.

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Europas. Herausragende Forschungseinrichtungen, Bildungseinrichtungen und
Unternehmen sind hier auf einem Campus vereint. Rund 1700 Angestellte, 1300
Studierende, 90 Forschungsgruppen, 18 Biotech-Unternehmen und
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internationales und dynamisches Umfeld.

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Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der
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Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische
Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit 5.500 MitarbeiterInnen, 26
Universitätskliniken und drei klinischen Instituten, 12 medizintheoretischen
Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den
bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen
Bereich.

Kontakt:
Mag. Ines Méhu-Blantar Senior Communications Manager IMBA – Institute of Molecular
Biotechnology GmbH Dr. Bohr-Gasse 3, 1030 Vienna M: +43 664 808473828 E.:
ines.mehu-blantar@imba.oeaw.ac.at

Original-Content von: IMBA Institute of Molecular Biotechnology, übermittelt durch news aktuell

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