Alzheimer-Forschung – Tests mit Aducanumab sorgen für Aufsehen / Viele Forschungsansätze, noch kein Durchbruch

Spätestens seit den populären Kinofilmen „Honig im
Kopf“ und dem Oscar-prämierten „Still Alice“ ist die
Alzheimer-Krankheit für Millionen Menschen ein Begriff. Der Bedarf
für ein Medikament gegen die bislang unheilbare Erkrankung ist
riesig. Mit Aducanumab hat ein Wirkstoff in klinischen Studien der
Phase I für Aufsehen erregende Ergebnisse gesorgt. Doch bis zu einem
Heilmittel ist es noch ein weiter Weg.

An Alzheimer erkranken, heißt sterben: Aktuell gibt es zur
Behandlung von Alzheimer nur vier Medikamente – diese können die
fortschreitende Zerstörung der geistigen Fähigkeiten und der
Persönlichkeit der Patienten nur über einen kurzen Zeitraum
hinauszögern, gestoppt werden kann sie bislang nicht. Grund genug,
die Forschung intensiv voranzutreiben. Der lang ersehnte Durchbruch
steht aber noch aus. Woran liegt das? Vor allem an der Komplexität
der Erkrankung – doch in jedem Rückschlag steckt auch die Hoffnung,
dass der nächste Versuch zum Ziel führt.

Alzheimer-Demenz ist eine fortschreitende Gehirnerkrankung mit
unbekannter Ursache – und unheilbar. Patienten verlieren ihr
Gedächtnis, ihre Sprachfähigkeit, ihre Unabhängigkeit, ihre
Beziehungen und letztendlich ihr Leben. Nicht nur für die Patienten
selbst ist die Erkrankung eine enorme Belastung, auch Angehörige,
welche oft bis zum Schluss selbst die Pflege eines geliebten Menschen
übernehmen, bringt das Leben mit Alzheimer an ihr Limit.

Geschätzte 1,5 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer
Demenz. Rund zwei Drittel davon sind von der häufigsten
Erkrankungsform Alzheimer betroffen. Die Dunkelziffer liegt
vermutlich höher. Betroffen sind vor allem ältere Menschen, wobei die
Krankheitsprozesse im Gehirn schon viele Jahre vor Auftreten der
ersten Symptome beginnen. Mit steigender Lebenserwartungen könnte
sich die Zahl der Erkrankten in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf
etwa 3 Millionen erhöhen und damit eine erhebliche Belastung für das
Gesundheitssystem darstellen – es sei denn, bis dahin ist ein
Medikament auf dem Markt verfügbar, das die Progression stoppen oder
die Krankheit heilen kann.

– Alzheimer – wenn das Gehirn krank wird

Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind noch unbekannt. Sicher
ist jedoch: Die gehirnverändernden Krankheitsprozesse beginnen schon
viele Jahre vor dem Auftreten der ersten klinisch erkennbaren
Symptome – zu diesem Zeitpunkt sind bereits etwa 70 Prozent der
Zellen zerstört. Zwei Veränderungen im Gehirn gelten als wesentliche
Merkmale von Alzheimer:

– Beta-Amyloid Plaques: Hierbei handelt es sich um
Proteinablagerungen zwischen den Nervenzellen. Im gesunden
Gehirn werden diese zersetzt und vernichtet. Im erkrankten
Gehirn aber häufen sie sich zu harten, unauflöslichen Plaques
an.

– Tau-Fibrillen: Hierbei handelt es sich um unauflöslich gedrehte
Faserbündel aus Protein in den Nervenzellen. Im gesunden Gehirn
sind sie mit verantwortlich für den Transport von Nährstoffen
und wichtigen Substanzen von einem Teil der Nervenzelle zu einem
anderen. Im Falle von Alzheimer ist das Tau-Protein allerdings
abnormal und funktionsuntüchtig.

Während des Fortschreitens von Alzheimer nimmt das Hirngewebe
umfassend ab und die Synapsen zwischen den Nervenzellen arbeiten nur
noch schlecht oder gar nicht mehr. Man geht von einer
durchschnittlichen Erkrankungsdauer von sieben Jahren aus – immer mit
tödlichem Verlauf.

– Das Rätsel Alzheimer – eine Sackgasse der Forschung?

Derzeit befinden sich gerade einmal vier Medikamente zur
Behandlung von Alzheimer auf dem Markt. Die kognitiven Symptome
können damit zwar kurzzeitig verbessert werden, der Krankheitsverlauf
wird dadurch aber nicht aufgehalten. Innovative Medikamente werden
dringend gebraucht, um die Erkrankung wirksam zu behandeln, zu
verlangsamen oder gar davor zu schützen.

Es gibt unterschiedlichste Forschungsbemühungen mit vielen
potentiellen Wirkstoffkandidaten. Aber: Erfolg kommt nicht über
Nacht. Jede Medikamentenentwicklung ist sehr komplex und langwierig –
bis zur Marktreife ist es meist ein steiniger Weg, gepflastert mit
vielen Rückschlägen. Das gilt umso mehr, wenn es um Alzheimer geht:
Seit 1998 gab es über 100 gescheiterte Forschungsversuche. Im
Vergleich dazu wurden im selben Zeitraum nur drei neue Medikamente
auf den Markt gebracht. Die Erfolgsquote liegt somit bei unter 3
Prozent. Die Forscher sehen aber in jedem Rückschlag auch die
Hoffnung, wieder etwas mehr über Alzheimer gelernt zu haben. Die hier
gewonnenen Erkenntnisse können zu nächsten Schritten oder neuen
Lösungsansätzen führen. Rückschläge dürfen nicht als Sackgasse
gesehen werden, sondern vielmehr als Chance für einen Neustart.

Trotz der bisher gesammelten Erkenntnisse bei der Erforschung von
Alzheimer, sind weiter viele Fragen ungeklärt: Die zugrundeliegenden
Ursachen und Mechanismen geben noch viele Rätsel auf. Das erschwert
es den Wissenschaftlern, die richtigen Zielpunkte für Studien zu
definieren, die gefährdeten Patienten zu identifizieren oder die
richtige Population auszumachen, in der ein Wirkstoff getestet werden
soll. Die enormen Kosten für Forschung und Entwicklung in diesem
Bereich und auch die potenziellen Rückschläge nehmen viele
Pharmaunternehmen in Kauf, denn dem Gewinner im Rennen um die erste
erfolgreiche Markteinführung eines Medikaments, das Alzheimer heilen
oder wirksam behandeln kann, winken Umsatzrenditen in Milliardenhöhe.

– So früh wie möglich: Verfall im Gehirn stoppen

Eine wichtige Erkenntnis, die Forscher in den letzten Jahren und
vor allem durch die jüngst gescheiterten Studien gewonnen haben:
Konzentration auf die möglichst frühe Alzheimer-Behandlung – die
Therapie sollte also schon dann beginnen, wenn noch keine kognitiven
Symptome aufgetreten sind und die unwiederbringlichen Schädigungen
des Gehirns aufgehalten werden könnten.

Und genau darin besteht die Schwierigkeit: Eine möglichst frühe
Alzheimer-Behandlung setzt eine möglichst frühe Diagnose voraus.
Ärzte können heutzutage zwar nach Auftreten von ersten Symptomen
durch Messung der Gedächtnisleistung, Verlaufsbeobachtung der
Erkrankung, Befragungen und Tests mit großer Wahrscheinlichkeit eine
treffende Diagnose stellen bzw. andere Erkrankungen ausschließen.
Dies ist aber unter Umständen ein langwieriger Prozess und im Grunde
kann erst nach dem Tod durch Autopsie des kranken Gehirns zu hundert
Prozent gesagt werden, ob es sich tatsächlich um Alzheimer gehandelt
hat.

Es werden also Tools benötigt, die eine frühe und sichere Diagnose
unterstützen können. Ein neu entwickelter Bluttest könnte in Zukunft
dazu beitragen, frühzeitig eine Alzheimer-Erkrankung zu erkennen. Für
einen validierten Einsatz zur Diagnosestellung sind allerdings noch
weitere Studien mit einer größeren Zahl von Testpersonen nötig.
Bereits zum Einsatz kommen kann dagegen das Radiopharmakon
Florbetapir F18. Es wird intravenös injiziert, mittels PET können
dann die Beta-Amyloid-Strukturen im Gehirn dargestellt werden und so
eine erste Diagnose des behandelnden Arztes stützen.

– Alzheimer-Medikamente in der Entwicklung – vorsichtiger
Optimismus angebracht?

Ein wirksames Mittel gegen Alzheimer zu entwickeln hat bei vielen
Pharmaunternehmen eine hohe Priorität. Über 70 potenzielle
Wirkstoffkandidaten befinden sich aktuell in klinischen Studien
(Phase I bis III). Eine Übersicht des Verbands der forschenden
Arzneimittelhersteller e.V. (vfa) zeigt, welche Substanzen es bereits
in die letzte Erprobungsphase geschafft haben (siehe Abb. 4). Das
heißt aber nicht automatisch, dass diese Medikamente die letzte Hürde
der Marktzulassung nehmen. Aktuelle Beispiele aus dem Jahr 2014
zeigen, dass es auch in Phase-III-Studien zu Rückschlägen und
Abbrüchen kommen kann: Die moloklonalen Antikörper gegen Amyloid
Solanezumab oder Gantanerumab zeigten keinen ausreichenden Nutzen bei
Einsatz im frühen Stadium der Erkrankung.

Es gibt aber auch Hoffnungsträger, wie die beiden
Betasekretase-Hemmer (BACE-Inhibitoren) MK-8931 und AZD 3293: Die
Phase-III-Studien verlaufen bisher ohne Zwischenfälle, erste
Ergebnisse werden 2016 bzw. 2017 erwartet. Auch ein anderer
Therapie-Ansatz scheint erfolgversprechend: Der
Tau-Aggregation-Inhibitor (TAI) Leuko-Methylthionium befindet sich
ebenfalls nach positiven Phase-II-Ergebnissen in der klinischen Phase
III-Prüfung. Erste Resultate soll es auch hier schon im Jahr 2016
geben.

Wie auch schon in der Vergangenheit der Zufall zu manch wichtiger
Errungenschaft der Medizin geführt hat (man denke an die Entdeckung
von Penicillin), so kam es jüngst auch in der Alzheimerforschung zu
einem Zufallsfund: Ein als Placebo eingesetzter Impfverstärker
(Adjuvans) zeigte in einer Phase-II-Studie mit Alzheimer-Patienten
vor allem im Frühstadium eine bessere Wirksamkeit als das
Prüfmedikament selbst. Nun wird AD04 für die Prüfung in Phase III
vorbereitet. Ob mit dieser Substanz der lang ersehnte Durchbruch in
der Behandlung von Alzheimer gelingt, wird die Zukunft zeigen.

Pressekontakt:
Stefan Rebein
Kai Tenzer
Redaktion Pharma Fakten

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