Vor dem G-20-Gipfel in Cannes: Bonner Finanzexperten legen Konzept für eine globale Schuldenbremse vor

Wenige Tage vor dem G-20-Gipfel in Cannes haben
Wissenschaftler des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) –
ein weltweites Forschungsnetzwerk, dem mehr als tausend
internationale Wissenschaftler angehören – den Staats- und
Regierungschefs Vorschläge für eine globale Strategie zur
Konsolidierung der öffentlichen Haushalte unterbreitet. Die
IZA-Studie von Mathias Dolls, Andreas Peichl und Klaus F. Zimmermann
unter dem Titel „Eine Herausforderung für die G20: Global vereinbarte
Schuldenbremsen und transnationale fiskalpolitische Aufsichtsgremien“
stellt das Konzept einer globalen Schuldenbremse vor, durch die der
Prozess der Haushaltskonsolidierung weltweit verbindlich gemacht
werden soll. Um die Verbindlichkeit des Schuldenabbaus
sicherzustellen, sollten die Schuldenbremsen in den nationalen
Verfassungen verankert werden. Zudem halten die Forscher eine
Überwachung durch transnationale, unabhängige Expertengremien für
unverzichtbar.

Die Überwachungsgremien könnten nach dem Vorschlag der Autoren
beim Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und dem
Internationalen Währungsfonds (IWF) angesiedelt sein und sollen eine
regelmäßige Evaluierung der nationalen Budgetplanungen zur Einhaltung
der Schuldenbremse vornehmen. Durch das globale Monitoring würde ein
wirksames Frühwarnsystem mit dem Ziel entstehen, zukünftige
Staatsschuldenkrisen und die daraus resultierenden
Ansteckungsgefahren zu vermeiden.

IZA-Direktor Klaus F. Zimmermann: „Die dramatischen Entwicklungen
der letzten Wochen und Monate machen deutlich, dass jetzt endgültig
der Zeitpunkt gekommen ist, neben den nur auf Zeit spielenden
Rettungsmaßnahmen in der Eurozone und dem Schuldendeal in den USA
endlich strukturelle Reformmaßnahmen zur Überwindung der weltweiten
Staatsschuldenkrise zu treffen. Dafür ist die Gruppe der G-20-Länder
der geeignete Rahmen.“ Die G-20 umfassen mit den Vertretern der EU,
der USA und Japans nicht nur die zentralen Schuldensünder, sondern
mit den BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China sowie den
großen Entwicklungsländern auch die Wirtschaftsregionen der Welt,
deren Wachstum durch die Schuldenkrise besonders bedroht ist.

„Es genügt nicht, in Cannes lediglich Notmaßnahmen gegen die
aktuelle Staatsschuldenkrise zu beraten. Notwendig ist vielmehr ein
Gesamtkonzept, das die weltweite Überschuldung der öffentlichen
Haushalte als die wichtigste Herausforderung begreift. Gelingt hier
keine überzeugende Lösung, wird die Unsicherheit an den Finanzmärkten
nicht aufhören, sondern eher noch weiter zunehmen,“ so Zimmermann.

Die Staats- und Regierungschefs der G-20 haben sich zwar
wiederholt mit dem Thema der weltweiten Schuldenkrise befasst und
dazu unter anderem im Juni 2010 auf ihrem Treffen in Toronto
beschlossen, bis 2013 das Staatsdefizit der entwickelten
Industriestaaten zu halbieren. Allerdings fehlte diesen Beschlüssen
die notwendige Verbindlichkeit.

Gleiches droht den Beschlüssen des EU-Gipfels der letzten Woche,
die zwar Schuldenregelungen in den nationalen Verfassungen vorsehen,
aber keine unabhängige Aufsicht. „Dieser Weg ist schon im
Maastricht-Vertrag gescheitert“, sagt IZA-Direktor Zimmermann. „Wir
brauchen unabhängige, transnationale Aufsichtsgremien mit
Sanktionsrechten in einer weltweiten Vereinbarung.“

Die hohe Staatsverschuldung ist nicht nur ein Problem Europas,
sondern betrifft auch andere wichtige Weltregionen. So hat Japan mit
rund 233 Prozent des BIP die höchste Staatsverschuldung unter den
Industrienationen. Fast der halbe Haushalt wird über neue Kredite
finanziert. Die USA steuern im laufenden Haushaltsjahr auf ein neues
Rekorddefizit zu. Ende Juni 2011 betrug die Staatsverschuldung dort
98,6 Prozent des BIP.

Schließlich sind auch die Interessen der Entwicklungsländer in
dieser Debatte direkt betroffen. Viele von ihnen konnten in den
Jahren vor der Finanz- und Wirtschaftskrise beeindruckende
Wachstumsraten aufweisen, nachdem sie in der Vergangenheit lange Zeit
unter den negativen Nachwirkungen des Kolonialismus zu leiden hatten.
Falls die westlichen Staaten ihre Schuldenprobleme nicht nachhaltig
lösen, droht heute eine neue Form des Kolonialismus.

Diese würde als „Wachstumssteuer“ in Form einer erneuten globalen
Wirtschaftskrise, diesmal ausgelöst durch eine Staatsschuldenkrise,
und eines Rückgangs der Entwicklungshilfe in Erscheinung treten.
Weiterhin könnte sie durch hohe Inflationsraten, die denselben Effekt
für die Entwicklungsländer hätten, diese daran hindern, weitere
Entwicklungsfortschritte zu erzielen. Aus diesen Gründen ist eine
unwiderrufliche Schuldenbremse nicht nur eine faire, sondern auch
eine notwendige Gegenleistung der Industriestaaten, auch im Hinblick
auf einen nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel zur Eindämmung
der Finanz-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise.

Die Studie ist über die IZA-Homepage abrufbar: IZA Standpunkte Nr.
45 – http://ftp.iza.org/sp45.pdf

Pressekontakt:
Mark Fallak
Corporate Communications, IZA
(0228) 3894-223
fallak@iza.org

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