Gerichtshof erteilt Stammzellpatenten eine Absage

Nach dem heutigen Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) sind auf embryonaler Stammzelllinien aufbauende
Erfindungen auch dann von der Patentierbarkeit auszuschließen, wenn
die Gewinnung der Zelllinien viele Jahre vorher stattgefunden hat und
nicht Bestandteil des erfindungsgemäßen Verfahrens ist. Dahinter
steht die Überlegung, dass ES-Zelllinien ursprünglich aus
befruchteten Eizellen gewonnen wurden. Der renommierte
Stammzellforscher Prof. Dr. Oliver Brüstle von der Universität Bonn
zeigte sich von der Entscheidung enttäuscht.

Auf Antrag des Bundesgerichtshofes (BGH) hat der Europäische
Gerichtshof (EuGH) heute eine Grundsatzentscheidung zur
Patentierbarkeit von Erfindungen auf Grundlage embryonaler
Stammzelllinien (ES-Zellen) gefällt. Ausgangspunkt des Rechtsstreits
war die Frage, ob allein die ursprüngliche Gewinnung dieser
Zelllinien aus befruchteten Eizellen ausreicht, um auf diesen Zellen
aufbauende Patente zu verbieten. Um diese Frage zu entscheiden, hatte
der BGH in Karlsruhe den EuGH um eine diesbezügliche Auslegung der
europäischen Biopatentrichtlinie gebeten.

Der Rektor und der Kanzler der Universität Bonn bedauerten das
Luxemburger Urteil, weil es die europäische Wissenschaft in diesem
Bereich der Stammzellforschung faktisch auf die Grundlagenforschung
festlege. „Translationale Forschung, die die Früchte grundlegender
Forschungsarbeiten in konkrete Verfahren und Therapien umsetzt, wird
in Zukunft wohl anderenorts stattfinden“, sagt Rektor Prof. Dr.
Jürgen Fohrmann. Das Urteil schränke damit auch die
Entwicklungsperspektiven von Nachwuchswissenschaftlern in Europa ein.

Prof. Dr. Oliver Brüstle, Direktor des Instituts für
Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn, äußerte sich
unzufrieden zu dem Urteil. „Mit dieser unglücklichen Entscheidung
werden die Früchte jahrelanger translationaler Forschung europäischer
Wissenschaftler in einem Handstreich weggewischt und dem
außereuropäischen Ausland überlassen. Europäische Forscher dürfen
Grundlagenforschung betreiben, die dann andernorts in medizinische
Verfahren umgesetzt wird, welche letztendlich wieder nach Europa
importiert werden. Wie soll ich das meinen Doktoranden erklären?“, so
Brüstle.

Tatsächlich werden solche ES-Zellen in zahlreichen europäischen
Staaten aus überzähligen befruchteten Eizellen gewonnen, die im
Rahmen der künstlichen Befruchtung in großen Mengen entstehen.
Mittlerweile stehen weltweit mehrere Hundert solcher Zelllinien zur
Verfügung. Da sie, einmal gewonnen, uneingeschränkt vermehrbar sind
und im Labor in alle Körperzelltypen umgewandelt werden können, haben
ES-Zellen enormes Potential für Krankheitsforschung und
Zelltherapien.

Der heutigen Entscheidung war ein jahrelanger Rechtsstreit
zwischen Brüstle und der Umweltschutzorganisation Greenpeace
vorausgegangen. Im Jahr 2004 hatte Greenpeace Klage gegen dieses im
Jahr 1999 erteilte Patent eingereicht. Kernpunkt der Argumentation:
Da humane ES-Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen
gewonnen werden, stelle dies eine untersagte Verwendung menschlicher
Embryonen und damit einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung dar.
Brüstle hingegen betonte, das patentierte Verfahren selbst beinhalte
weder eine Verwendung von Embryonen noch die Gewinnung von ES-Zellen,
sondern gehe von bereits etablierten ES-Zelllinien aus, die
international erhältlich sind und an denen in Deutschland legal
gearbeitet werden darf.

Brüstle kritisierte die Entscheidung des EuGH: „Der EuGH nimmt
damit eine restriktivere Haltung ein als die europäische Kommission
und sämtliche von den Mitgliedsstaaten eingegangenen Stellungnahmen“.
Selbst in diesem Gebiet bekanntermaßen konservative Staaten wie
Portugal und Irland hatten in ihren Äußerungen dafür plädiert,
Stammzell-Erfindungen nicht von der Patentierbarkeit auszuschließen,
wenn sie auf der Verwendung bereits existierender ES-Zelllinien
aufbauen. Mit dem Urteil wird der EuGH laut Brüstle’s Anwälten Dr.
Martin Grund und Clara Sattler de Sousa e Brito auch nicht seinem
Mandat einer harmonisierenden Rechtsauslegung in Europa gerecht.
„Niemand würde in Großbritannien oder Schweden auf die Idee kommen,
Patente für entsprechende Verfahren in Frage zu stellen.“ Da die
Entscheidung auch für diese Staaten bindend ist, würden die
inzwischen über 100 ES-Zell-Patente in Großbritannien und Schweden
ebenso angreifbar wie Brüstle’s Patent und damit praktisch unwirksam,
so Frau Sattler de Sousa e Brito.

Angesichts der aktuellen Entwicklungen sei die Entscheidung des
EuGH nicht nachvollziehbar, so Brüstle. „Vor wenigen Wochen haben in
Großbritannien die ersten klinischen Studien zur Transplantation
ES-Zell-abgeleiteter Netzhautzellen begonnen, und nun stigmatisiert
der EuGH die Patentierung solcher Technologien als unmoralisch“.
Brüstle gab sich dennoch gelassen und vertrat die Auffassung, dass
die Stammzelltechnologie auf internationaler Ebene nicht aufzuhalten
sei. Allerdings berge die heutige Entscheidung eine traurige Wahrheit
für die vielen jungen europäischen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, die begeistert an der Entwicklung biomedizinischer
Verfahren auf Grundlage humaner Stammzellen forschen. „Ihnen kann man
es nicht verdenken, wenn sie Europa den Rücken kehren.“

Kontakt:
Prof. Oliver Brüstle
Institute of Reconstructive Neurobiology
LIFE & BRAIN Center
University of Bonn
Sigmund-Freud-Strasse 25
53105 Bonn
Germany
Tel. +49-228-6885-517
Mobil: +49-173/9130544
Fax +49-228-6885-501
www.stemcells.uni-bonn.de

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