Helfen Gentests im Kampf gegen Volkskrankheiten?

Zu den Möglichkeiten und Grenzen von Gentests bei
der Vorhersage und Diagnostik weit verbreiteter Volkskrankheiten hat
der Deutsche Ethikrat am 3. Mai 2012 Experten in einer öffentlichen
Anhörung befragt. Die Ergebnisse werden in die Stellungnahme zur
Zukunft der genetischen Diagnostik einfließen, die der Ethikrat
derzeit im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet.

Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs, Darmerkrankungen, psychiatrische
Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten gehören zu den
weitverbreiteten Krankheiten in unserer Gesellschaft. Viele
verschiedene genetische und umweltbedingte Faktoren bestimmen ihren
Ausbruch und Verlauf. Die aus der Sequenzierung des menschlichen
Genoms resultierenden Fortschritte in der molekulargenetischen
Forschung decken zunehmend Zusammenhänge zwischen diesen Krankheiten
und bestimmten genetischen Variationen auf.

Doch inwieweit können genetische Analysen in der klinischen Praxis
für die Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung eingesetzt
werden?

Bei der Beantwortung dieser Frage waren sich die sieben Experten
aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten sowie aus dem Bereich
der Bioinformatik im Grundsatz einig. Trotz rasant anwachsender
Informationen über die Beteiligung vieler Genvarianten an
Krankheitsrisiken sei der medizinische Nutzen dieser Erkenntnisse
bislang fraglich. Der Hauptgrund für diese Zweifel sei der Umstand,
dass die meisten beteiligten Genvarianten in der Regel nur einen
jeweils sehr geringen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko haben, das
Gesamtrisiko, an einem Leiden zu erkranken, von vielen Varianten
gleichzeitig beeinflusst wird und die Varianten sich zudem
gegenseitig beeinflussen. Hinzu kommen vielschichtige
Wechselwirkungen der Genvarianten mit umweltbedingten Faktoren. Den
breiten Einsatz von Gentests für die Vorhersage und Früherkennung
häufiger Volkskrankheiten halten alle Beitragenden deshalb auch in
Zukunft für wenig sinnvoll. Dies gelte umso mehr, als die
Feststellung eines erhöhten Risikos keine neuen Behandlungsoptionen,
sondern lediglich allgemeine Empfehlungen für einen gesunden
Lebenswandel nach sich ziehe, die der Gesamtbevölkerung jedoch auch
unabhängig von einem erhöhten Risiko ans Herz gelegt werden.

Erfolge bei der Krankeitsvorhersage durch Gentests gebe es bisher
lediglich in den vergleichsweise seltenen Fällen, in denen nur
einzelne oder wenige Genvarianten das Krankheitsrisiko beeinflussen.
Hierzu gehören etwa drei an der früh einsetzenden Alzheimer-Demenz
beteiligte Genvarianten, Mutationen des Insulinrezeptor-Gens bei
Diabetes oder Mutationen in bestimmten Enzymgenen beim Herzinfarkt.

Fortschritte im Bereich der Krankheitsprädiktion seien zudem
mithilfe epigenetischer Untersuchungen und dem Nachweis neuer
Biomarker zu erwarten, die nicht nur die genetische Grundausstattung
in den Blick nehmen, sondern vor allem die jeweilige Genaktivität.

Aussichtsreich sei der Einsatz des genetischen Wissens zudem in
der Pharmakogenetik. Hier analysiert man den Einfluss von
Genvarianten auf die Wirkung von Arzneimitteln mit dem Ziel, die
Auswahl und Dosierung von Medikamenten für individuelle Patienten
anzupassen.

Als unerlässlich erachteten alle Experten eine hoch qualifizierte,
der Komplexität angemessene ärztliche Beratung rund um den Einsatz
von Gentests. Bei Gentests, die im Internet angeboten werden, könne
dies nicht gewährleistet werden. Aber auch beim Einsatz von Gentests
im Rahmen einer ärztlichen Behandlung stellten sich hier neue
Herausforderungen, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
verschiedener Fachleute künftig noch wichtiger mache.

In der Diskussion wurde darüber hinaus thematisiert, inwiefern
Gene überhaupt als Ursachen für Krankheiten angesehen werden können,
welche Auswirkungen das zunehmende genetische Wissen auf die
Gestaltung unserer Gesundheitsversorgung haben könnte und sollte, und
inwiefern ein neues grundsätzliches Nachdenken über das derzeit
vorherrschende organorientierte Krankheitsverständnis erforderlich
ist.

Das Programm der Anhörung sowie die Vorträge und
Diskussionbeiträge können unter http://ots.de/dSJJY abgerufen werden.

Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
Jägerstraße 22/23
D-10117 Berlin

Tel: +49 (0)30 203 70-246
Fax:+49 (0)30 203 70-252
E-Mail: florian@ethikrat.org
URL: http://www.ethikrat.org

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